Der Seelenfütterer - Klaus Bendel

Glauben (er)leben

Lebensflucht

Erzählpredigt zu Lukas 22, 31-34  

Es war einmal… Diesen Anfang haben alle Märchen gemein.  

Beim Märchen wird um einen wahren Kern eine Geschichte gesponnen, um diese Kernaussage in interessanter Art und Weise hervorzuheben.  

An und für sich ist auch die nun folgende Geschichte frei erfunden, doch hat sie sich mit Sicherheit so oder so ähnlich zugetragen.   

Es war einmal ein Junge mit Namen Phillip …   

„So ein Mist! Jetzt habe ich so gebüffelt und alles zig-mal durchgearbeitet – alles umsonst.  

Die Prüfung habe ich voll in den Sand gesetzt.  

Was soll ich jetzt bloß machen?“   

Mit hängendem Kopf verlässt Phillip den Klassenraum.  

Er geht den langen Gang entlang auf die Treppe zu.  

Links und rechts hängen die Kunstwerke einiger Schülerinnen und Schüler.  

Meist sind es Aquarelle mit Landschaften oder Tieren, die die Schulflurgalerie schmücken.  

Ab und an sind auch Bildnisse von Menschen darunter.  

Wie oft ist er mit seinen Freunden lästernd an den Bildern vorbei gegangen; doch heute, so scheint es, nehmen sie grausame Rache.  

Auf Phillip wirken die Gesichter auf den Gemälden, als lachten sie ihn aus – hämische Blicke scheinen ihn nun zu verfolgen.  

Er will nur noch raus – raus aus diesen Gängen, raus aus der Schule, raus, raus, raus …   

Seine Mutter hatte ihm am Morgen noch Mut gemacht: „Mein Junge, wenn du diese Prüfung schaffst, dann kannst du wirklich Medizin studieren und Arzt werden – wie dein Vater!“   

Phillip hatte immer Probleme gehabt in der Schule. Seine Eltern verstanden nicht, warum er sich so schwer tat. Mit viel Mühe und Ausdauer hatte er es nun fast geschafft – Die letzte Abiturprüfung stand bevor – Gott sei Dank, denn er hatte keine Kraft mehr …   

Doch alle Mühen waren vergeblich. Bereits am Ende der Prüfung war ihm klar – Er war durchgefallen. Durchgefallen wie der feine Sand in einem Sieb. Das Schicksal hatte ihn ausgesiebt ….   

Ist es uns nicht auch schon so gegangen?  

Wie oft haben wir nicht in das Standardraster gepasst und wurden ausgesiebt?  

In der Familie, in der Schule und später im Beruf?  

„Leider entsprechen Sie nicht dem Anforderungsprofil dieser Stelle!“  

wer hat nicht schon einen solchen oder ähnlichen Satz gehört?  

Und schon wieder ist man ausgesiebt …   

Doch nicht immer ist es das, was im Sieb hängen bleibt, was wirklich wertvoll ist. Manchmal kann man auch nur mit dem etwas anfangen, was durchgefallen ist, das sich nicht festgeklammert hat.   

Ein Beispiel ist hierfür ist Weizen.  

Heutzutage erledigt ein Mähdrescher die Arbeit, die früher aus mehreren Arbeitsschritten bestand. Im Altertum wurde das Korn, nachdem der Weizen geerntet worden war, gedroschen. Durch das anschließende Sieben wurde die Spreu vom Weizen getrennt. Das Ganze wurde hin und hergeschüttelt. Die Körner fielen durch, die Spreu blieb hängen und wurde anschließend verbrannt.  

Um das Aussieben geht es auch in unserem heutigen Predigttext. Jesus bereitet seine Jünger auf sei bevorstehendes Leiden und seinen nahen Kreuzestod vor.  

Ich lese aus Lukas 22 die Verse 31-34  

 Simon, Simon, siehe, der Satan hat begehrt, euch zu sieben wie den Weizen.  

32 Ich aber habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre. Und wenn du dereinst dich bekehrst, so stärke deine Brüder.  

33 Er aber sprach zu ihm: Herr, ich bin bereit, mit dir ins Gefängnis und in den Tod zu gehen.  

34 Er aber sprach: Petrus, ich sage dir: Der Hahn wird heute nicht krähen, ehe du dreimal geleugnet hast, dass du mich kennst.   

Satan versucht die Jünger Jesu wie Weizen zu sieben.  

Durch die Verhaftung Jesu werden sie hin- und hergerissen quasi hin- und hergeschüttelt sein.  

Die Brutalität, die hierbei an den Tag gelegt wird, wird den Jüngern Angst machen. Wie gelähmt werden Sie sich an ihrem alten Leben festhalten.  

Nur nicht durchfallen – nur nicht auffallen  

Lieber so sein wie alle anderen, die quasi mit mir im Sieb liegen.  

<kurze Pause> Jesus kennt seine Jünger.   

Keiner von ihnen ist bislang so weit, ihm auf seinem Weg zu folgen, selbst Simon nicht, der so fest hinter Jesus steht wie kein anderer.  

Jesus sagt im klar und deutlich ins Gesicht:  

<schneller/heftiger> Du wirst leugnen, dass du mich kennst, auch wenn du es jetzt nicht glauben kannst. Du wirst im Dunkeln umherirren und dich verstecken. Die Angst wird dich gefangen nehmen. Sie wird dich gefangen nehmen bis … <Pause>  

<langsamer weiter> … ja bis der Hahnenschrei die Nacht vertreibt und die Sonne aufgeht,  

die Sonne in dir aufgeht. <Pause>   

Jesus kennt seine Jünger uns so betet er für Petrus, damit sein Glaube fest werden soll und er so seine Schwestern und Brüder stärken kann.  

Jesu Liebe schenkt Wärme und Kraft. Sie vertreibt die Schatten der Nacht und mit ihr Angst und Finsternis.   

Wer diesem Licht gestattet in einem selbst zu wirken, der hat keine Angst mehr los zu lassen, hat keine Angst mehr sich fallen zu lassen, hat keine Angst mehr davor herauszutreten aus dem Versteck und den Blicken aller ausgesetzt, neue Wege zu gehen.   

Und es ist nie zu spät dazu. Selbst Simon, der Jesus dreimal verleugnet hatte, wurde vergeben.  

Nach der dritten Verleumdung krähte der Hahn und Jesus blicke Simon an. Da wird ihm bewusst was er getan hatte. Er hält es nicht mehr aus und geht hinaus –  

Von tiefer Reue geschüttelt war er hinausgegangen und weinte bitterlich.  

Er bereute zutiefst und erfuhr die Gnade Gottes durch das Evangelium.  

Ich aber habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre. Und wenn du dereinst dich bekehrst, so stärke deine Brüder.  

Die Tränen seiner Reue hatten ihn reingewaschen. Er klammerte sich nicht mehr länger fest, sondern ließ sich fallen.  

Nun war aus Simon wirklich Petrus geworden.   

Petrus wurde zum Fels auf dem Jesus seine Gemeinde baut.  

Er  wurde zu einem tragenden Element im Fundament christlichen Glaubens. Umringt von kleineren und größeren Steinen und Felsen, zu denen auch wir heute gehören, bildet er den Kern dieses Fundaments.  

Doch ist es die Liebe Gottes, die dieses Fundament zusammenhält. Die Liebe Gottes die uns tagtäglich begegnet.  

In einem zärtlichen Blick,  

in einem tröstenden Wort,  

in einer helfenden Hand.  

Das Evangelium des Jesus Christus ist der Zement der uns, den einzelnen Steinen seines Fundaments, festen Halt gibt.   

Von einem festen Fundament in seinem Leben, merkt der Junge Phillip aus unserer Geschichte nichts. Ganz im Gegenteil: Ihm wurde der Boden unter den Füßen weggerissen.  

Phillip lässt das Schulgebäude hinter sich – er überquert den Schulhof ohne aufzublicken.  

Was soll aus ihm werden?  

Wohin soll er jetzt gehen?  

Nach hause kann er nicht – Seine Eltern werden ihm sein Versagen niemals verzeihen, dessen ist er sich sicher.  

Völlig verzweifelt geht er immer weiter, bis er plötzlich vor dem Bahnhof steht. Er steigt in den nächstbesten Zug ein und verschwindet. Im Großstadtdschungel Berlins taucht er unter.   

Phillip war durchgefallen. Durchgefallen wie ein Weizenkorn das auf die Erde fällt und in den Schmutz getreten wird.   

Zwei Jahre lebte Phillip auf der Straße. Seine Eltern konnten ihn nicht finden. Er erfuhr von den Schicksalen anderer Jugendlicher und Kinder. Er geriet in den Strudel aus Alkohol, Drogen und Kriminalität. Phillip schien verloren.  

1 ½ Jahre nach dem Abiturdesaster, lernte Phillip Mike kennen.  

Mike war als so genannter Streetworker nach Berlin gekommen.  

Phillip hatte schon einigen Kontakt zu Streetworkern gehabt, konnte aber irgendwie kein Vertrauen aufbauen. Bei Mike war das anders.  

Mike hörte zu und er hörte auch hin. Bei Mike hatte Phillip zum ersten Mal seit langem das Gefühl ernst genommen zu werden.  

Einmal fragte er Mike: Woher kommt es, dass du dir so viel Mühe mit mir machst?  

Ich habe dich so oft weggestoßen, habe dich angeschrien, doch du kommst immer wieder zurück und versuchst mir zu helfen – Warum?   

Nun, sagte Mike, ich bin Christ und ich lebe meinen Glauben. Jesus gab uns eine einfache Regel mit auf den Weg und ich versuche danach zu handeln.  

Welche Regel? (fragte Phillip)       

Jesus wurde einmal gefragt:  

36 Meister, welches ist das höchste Gebot im Gesetz?  

37 Jesus antwortete ihm: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt«.  

38 Dies ist das höchste und größte Gebot.  

39 Das andere aber ist dem gleich: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« (3.Mose 19,18)   

Mike hatte Phillip durch sein Handeln gezeigt, dass dieses Wort, gesprochen vor fast 2000 Jahren noch immer Gültigkeit hat.  

Phillip wurde klar, dass aus der Liebe Gottes zu den Menschen und der Liebe der Menschen zu Gott eine Macht erwachsen kann, die unüberwindbar scheinende Gegensätze aus dem Weg räumt und völlig neue Möglichkeiten aufzeigt.  

Phillip gewann Vertrauen –  

Vertrauen zu Mike und durch ihn Vertrauen auf Jesus.   

Nach fast zwei Jahren kehrte er endlich heim.  

Seine verzweifelten Eltern nahmen ihn freudig auf.  

Für Phillip lag sein Lebensweg nun klar und deutlich vor Ihm.  

Er holte das Abitur nach und studierte, nein nicht Medizin, sondern Sozialpädagogik. – Er wurde Streetworker.   

Jesus hatte ihm den Weg gezeigt.  

Und Jesus würde ihn auch begleiten,  

begleiten durch all die Höhen und Tiefen des Streetworkerlebens.   

Dass sich diese Geschichte so oder so ähnlich tatsächlich ereignet hat zeigt die Tatsache, dass christliche Dienste wie die »Berliner Stadtmission«, »Teen Challenge« oder »Straßenkinder e.V.« seit vielen Jahren in der sogenannten aufsuchenden Arbeit unterwegs sind. Häufig stammen die Streetworker aus demselben Umfeld, wie die Straßenkinder. Sie sprechen dieselbe Sprache wie die Kinder und Jugendlichen und werden daher akzeptiert.   

Das Korn fällt auf die Erde und verschwindet – zunächst.  

Es muss erst hinein in die Dunkelheit. Dort harrt es aus bis es die wärmende Sonne spürt und die eigene harte und schützende Schale aufbricht um hinauszutreten in die Welt. In eine Welt voller Gefahren aber auch voller Licht und Wärme.   

Wer sich so in den Glauben fallen lässt, kann auch anderen helfen  Jesus zu finden und dazu beitragen, dass der Mitmensch lernt loszulassen, was ihm so wichtig scheint und ihn doch nur belastet.  

Wie Petrus ließ auch Phillip sich fallen in ein Leben im Vertrauen auf Jesus Christus.  

Nun war auch aus unserem Phillip quasi ein bisschen Petrus geworden.  

Auch Phillip ist zu einem Fels, einem Teil des festen Fundaments unseres christlichen Glaubens geworden.  

So gilt auch für ihn und kann auch für uns alle gelten: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen.  

Amen