Der Seelenfütterer - Klaus Bendel

Glauben (er)leben

Erzähl-Predigt zu Matthäus 4, 1–11 - 
(Versuchung Jesu)

Schriftlesung: 5.Mose 8,11-18

So hüte dich nun davor, den HERRN, deinen Gott, zu vergessen, sodass du seine Gebote und seine Gesetze und Rechte, die ich dir heute gebiete, nicht hältst.

12 Wenn du nun gegessen hast und satt bist und schöne Häuser erbaust und darin wohnst

13 und deine Rinder und Schafe und Silber und Gold und alles, was du hast, sich mehrt,

14 dann hüte dich, dass dein Herz sich nicht überhebt und du den HERRN, deinen Gott, vergisst, der dich aus Ägyptenland geführt hat, aus der Knechtschaft,

15 und dich geleitet hat durch die große und furchtbare Wüste, wo feurige Schlangen und Skorpione und lauter Dürre und kein Wasser war, und ließ dir Wasser aus dem harten Felsen hervorgehen

16 und speiste dich mit Manna in der Wüste, von dem deine Väter nichts gewusst haben, auf dass er dich demütigte und versuchte, damit er dir hernach wohltäte.

17 Du könntest sonst sagen in deinem Herzen: Meine Kräfte und meiner Hände Stärke haben mir diesen Reichtum gewonnen.

18 Sondern gedenke an den HERRN, deinen Gott; denn er ist's, der dir Kräfte gibt, Reichtum zu gewinnen, auf dass er hielte seinen Bund, den er deinen Vätern geschworen hat, so wie es heute ist.        

Versuchungen gab es zu allen Zeiten.

Unsere Bibel kann hierüber Geschichten erzählen.

Auch Jesus durchlebte dieses hochmenschliche Gefühl.    

Ich lese aus: Matthäus 4, 1–11 

Jesu Versuchung   

1 Da wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt, damit er von dem Teufel versucht würde. 2 Und da er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn. 3 Und der Versucher trat zu ihm und sprach: Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden. 4 Er aber antwortete und sprach: Es steht geschrieben (5.Mose 8,3): »Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht.« 5 Da führte ihn der Teufel mit sich in die heilige Stadt und stellte ihn auf die Zinne des Tempels 6 und sprach zu ihm: Bist du Gottes Sohn, so wirf dich hinab; denn es steht geschrieben (Psalm 91,11-12): »Er wird seinen Engeln deinetwegen Befehl geben; und sie werden dich auf den Händen tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt.« 7 Da sprach Jesus zu ihm: Wiederum steht auch geschrieben (5.Mose 6,16): »Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.« 8 Darauf führte ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit 9 und sprach zu ihm: Das alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest. 10 Da sprach Jesus zu ihm: Weg mit dir, Satan! Denn es steht geschrieben (5.Mose 6,13): »Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen.« 11 Da verließ ihn der Teufel. Und siehe, da traten Engel zu ihm und dienten ihm. 
   

Liebe Gemeinde,
die Versuchungen des Lebens sind vielfältig. 
So sind wir versucht unsere Werke und Leistungen in uns selbst begründet zu sehen, statt unserem Herrgott für seine geschenkten Gaben zu danken. …

Versuchungen begegnen uns aber auch in Macht, Gewalt, Sex, Reichtum, Wohlstand und, und, und

In einer Zeit, in der unser reiches Land, für Flüchtlinge aus aller Welt, oft die letzte Rettung darstellt;
In einer Zeit in der Ängste geschürt werden und daraufhin tausende auf die Straßen gehen, um gegen alles Fremde zu protestieren. 
Eine solche Zeit bringt ganz neue und gleichzeitig bereits begraben geglaubte Versuchungen wieder an den Tag.

Wie können unsere Versuchungen in solchen Zeiten noch aussehen?

Vielleicht, wie in meiner kleinen Geschichte ...

Einer Geschichte von Versuchungen, 
vom rettenden Engel, 
von „Steinen“ die zu „göttlichem Brot“ werden.    

„Verschwindet hier! Raus mit euch! Ihr seid doch an allem Schuld!“
Mit Tränen in den Augen fällt die Mutter zurück auf den Stuhl neben dem Krankenbett ihres Sohnes Michael. 
Er ist Ihr jüngster Sohn und liegt nun vor ihr, an lebenserhaltende Geräte angeschlossen. 
Die zwei, die eben noch an der Türe gestanden waren, haben den Raum verlassen. 
Es ist jetzt ganz still. 
Nur das Piepsen der Überwachungsgeräte und das leise Schluchzen der Mutter sind zu hören.

Wie konnte es nur so weit kommen?  

Michael war endlich mit seinem großen Bruder Kevin so richtig gut klar gekommen. 
Das war nicht immer so, doch seit rund einem halben Jahr waren die beiden fast unzertrennlich. 
Michael himmelte seinen großen Bruder an. 
Er war sein großes Vorbild geworden.

Kevin hatte sich einer Gruppe junger Menschen angeschlossen.  Deren Ziel  war die Sicherung des „deutschen Volksgutes“; wie sie es nannten.

Für Michael war die Versuchung einfach zu groß. 
Endlich wurde er akzeptiert. 
Er, der immer nur der „Kleine“ war, wurde Teil dieser Gruppe, zu der auch sein großer Bruder gehörte.

An den Wochenenden zogen Sie durch die Straßen und sorgten „für Ordnung“, besser gesagt dafür, was sie darunter verstanden. 
So wurden andersartige und fremdländische Mitmenschen beleidigt, beschimpft und bedroht. 
Sie alle folgten einem 38-jährigen, der sich selbst als „Volkstribun“ bezeichnete und die jungen Menschen mit Versprechungen auf ein Leben in Wohlstand und Sicherheit köderte, 
… sobald sie nur die Oberhand im Land übernommen hätten.

Alles was der „Volkstribun“ anordnete, wurde ohne Fragen zu stellen ausgeführt. „Ihr seid  deutsche Volksarmisten und tut was euch befohlen wird“, sagte er immer, wenn wirklich einmal jemand nachfragte.  
Er war ihr großes Vorbild, ihr Idol. Wie der Donnergott Thor gegen seine Feinde wütete, würde auch er die Fremden aus dem deutschen Land vertreiben, hatte er bei einer ihrer Versammlungen einmal gesagt.
 Wie ein Gott, so wurde er auch von seinen Anhängern verehrt …

Eines Nachts geschah es dann. 
Die Gruppe hatte einen dunkelhäutigen Jungen durch das Industriegebiet gejagt. 
Er flüchtet sich auf das Dach eines S-Bahn-Wagons.

„Hol ihn da runter!“ riefen die anderen Michael zu. 
„Los, hoch mit dir, kleiner Bruder!“ ergänzte Kevin und trieb Michael an.

Michael wollte ja dazu gehören. So blieb Ihm nichts anderes übrig als, unter dem Gegröle der Anderen, auf den Wagon zu klettern. 

Dort saß zusammengekauert der schluchzende Junge. 
Er war bestimmt ein Jahr jünger als Michael. 
Michael zögerte.
 „Los, schapp ihn dir, schmeiß ihn runter!“ seine neuen Freunde wurden langsam ungeduldig. 
Michael war ganz und gar nicht wohl bei der Sache. 
Am liebsten wäre er davon gelaufen. Doch jetzt gab es kein Zurück mehr. 
Um möglichst stark zu wirken richtet er sich weit auf. 
So stand er auf dem S-Bahnwagon in einer sternenklaren Nacht.
Er holte tief Luft und … bevor er noch ein Wort sagen konnte, traf ihn ein Blitzschlag aus heiterem Himmel.

Er schüttelte sich kurz, bäumte sich auf, stürzte wie ein nasser Sack vom Dach und landete hart auf dem Gleisbett.

Plötzlich war alles still.

Selbst der Junge auf dem Wagondach hatte aufgehört zu schluchzen.

Seine neuen Freunde waren geschockt. 
Von so etwas hatte der Volkstribun nie gesprochen; Was sollten sie nun tun? 
„Los weg hier!“ rief plötzlich einer aus der Truppe. Und schon begangen die Ersten in verschiede Richtungen davon zu laufen.


„Wartet!“ Kevin war der erste, der die Fassung wieder erlangt hatte. 
Doch zu spät. Er stand nun ganz alleine da, Mitten in der Nacht;
… neben den Gleisen lag, wie tot, sein kleiner Bruder.   

Michael war der Hochspannungsleitung zu nahe gekommen.   
 

Die neuen Freunde hatten nicht nur gegenüber allem Fremden ein versteinertes Herz gehabt, sondern auch jetzt, als einer der ihren in Gefahr war, kein Mitgefühl gezeigt. Ihre Herzen waren in diesem Moment so wertvoll, wie die Steine in der Wüste aus unserem Predigttext.
Von Angst getrieben, waren sie auseinandergestoben.

Kevin beugte sich über seinen kleinen Bruder. 
Wie durch ein Wunder, schlug Michaels Herz noch. 
Überall roch es nach verbranntem Fleisch. 
Die Schulter war schwarz und auch die Kleidung war durch den Blitzschlag versengt worden. 
Sein rechter Arm war unnatürlich weit auf den Rücken verbogen. 
Aus dem Jackenärmel ragte der abgebrochen Knochen seines Oberarms heraus. 
Michael war schwer verletzt.

„Lebt er noch?“ Kevin hörte plötzlich eine Stimme hinter sich.

Der dunkelhäutige Junge war vom Dach herunter geklettert und stand nun an den Wagon gestützt hinter Kevin. 
„Ja, er lebt, aber es hat ihn schlimm erwischt.“

„Ich rufe einen Krankenwagen. Bleib du bei deinem Bruder. Ich lotse den Rettungsdienst hier her.“ Sagte der Junge und rannte in Richtung der beleuchteten Straße.

Kevin blieb bei seinem Bruder und hielt seine Hand. 
Er wollte sie nie mehr los lassen. 
Er dachte an seine Zeit mit Micha. 
Wie oft er ihn gehänselt und geärgert hatte. Dabei hatte er ihn doch schon immer lieb gehabt. 
Nun lag er da und würde vielleicht sterben. 
Er könnte ihm dann nicht mehr sagen, wieviel er ihm bedeutete, 
er könnte sich nicht mehr bei ihm entschuldigen, 
sich auch nicht mehr dafür entschuldigen in welche Situation er ihn getrieben hatte.

Flackernde Lichter um ihn herum rissen ihn aus seiner Lethargie

Der farbige Junge kam mit den Rettungssanitäter zurück. 

Sanft löste er Kevins Hand von Michaels Hand.
 „Komm, lass die Experten ihre Arbeit tun .. “ 
Kevin folgte ihm zum Rettungswagen. 
Ein weiterer Sanitäter kam auf die beiden zu. „Seid ihr in Ordnung?“

„Ja, “ antwortete der Junge „wir haben uns nur sehr erschrocken.“

„Was ist hier eigentlich passiert?“, wollte der Sanitäter wissen.

Wieder antwortete der Junge: „Wir sind auf den Wagon geklettert, da hat es plötzlich gekracht und er fiel herunter.“ 
Kopfschüttelnd murmelte der Sanitäter etwas von „wie kann man nur so leichtsinnig sein“ und ging hinüber zum Notarzt, um Ihm Bescheid zu geben.

„Danke …“ mehr brachte Kevin nicht heraus. Langsam hob er den Blick zu dem fremden Jungen  und schaute ihn mit einer Mischung aus Verständnislosigkeit und Dankbarkeit an. 
Sein sonst so steinhart wirkendes Gesicht war blass und tränenfeucht, die Augen gerötet.

Ein weiteres Fahrzeug mit Blaulicht fuhr an die Unfallstelle. 
Zwei Polizeibeamten stiegen aus, sprachen zunächst mit dem Notarzt und gingen dann auf die beiden Jungen zu.

Die Personalien wurden aufgenommen und beide nach den Vorkommnissen befragt.

Bei jeder Frage stammelte Kevin „es ist alles meine Schuld ..“ 
– mehr war aus ihm nicht heraus zu bekommen. 
Zu tief hatte der Vorfall seine Seele verletzt.

Der fremde Junge blieb bei seiner Aussage, dass der Unfall durch Leichtsinn entstanden war und ließ den Rest der grausigen Geschichte einfach weg.

Michael war zwischenzeitlich in den Krankenwagen verladen worden.

„Ihr wollt sicher auch mit in das Krankenhaus? 
Wenn ihr wollt, fahren wir euch hin. “ meinte der Polizist und die Beiden stiegen in den Streifenwagen ein.

Unterdessen war auch Michaels Mutter verständigt worden und auf dem Weg ins Krankenhaus.

…..

Hilflos sitzt sie nun vor dem Krankenbett. 
Sie bittet Gott um Hilfe, klagt ihm ihr Leid. 
Ganz langsam wird sie Stück für Stück ein wenig ruhiger.

Kevin und der fremde Junge haben auf Michaels Mutter gehört und das Zimmer verlassen; 
Sie sind jedoch nicht nachhause gegangen. 
So sitzen die beiden im Wartebereich der Notfall-Abteilung und blicken starr vor sich hin.

„Wie ist eigentlich dein Name?“ durchbricht diesmal Kevin die Mauer des Schweigens.

„Ich heiße Gabriel, wie mein Großvater. 
Der war als amerikanischer Soldat im zweiten Weltkrieg nach Deutschland gekommen. 
Er ist nach dem Krieg hier geblieben und hat eine Deutsche geheiratet. 
……..
Er war damals gekommen, um gegen die Nazis zu kämpfen. 
Wenn ich jedoch an heute Abend denke, war sein Kampf nicht sehr erfolgreich …“

Beschämt blickt Kevin auf den Boden des Warteraums.  

„Ich weiß gar nicht was ich sagen soll“, 
Kevin schaut Gabriel hilflos an.

„Ein >>Dankeschön << oder ein >>Entschuldige bitte <<, drücken bei weitem nicht aus, was ich jetzt fühle … „  

Für Kevin ist klar, er würde nie mehr dem „Volkstribun“ folgen. 
Er weiß zwar noch nicht wie, aber er würde die Probleme in seinem Umfeld gemeinsam mit allen anderen zu lösen versuchen. 
Gewalt war kein Thema mehr für ihn.

Kevin senkt wieder den Blick und fängt hemmungslos an zu weinen. 
Er der ehemals knallharte „Deutsche Volksarmist“ sitzt neben dem farbigen Jungen und wimmert wie ein kleines Kind. Sein Herz aus Stein wurde durch Gabriels Hingabe erweicht. 
Jetzt schämt er sich für seine Gedanken, sein Handeln, sein bisheriges Leben.

Mit Gottes Hilfe würde sein neues Herz wertvoll, wie „göttliches Brot“ für seine Mitmenschen werden.  

Sanft nimmt Gabriel seine Hände  „Komm, lass uns beten, zu Gott beten für deinen Bruder …“

So sitzen Sie immer noch da, und beten, als die Mutter die Türe zum Warteraum öffnet …

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Soweit meine Geschichte von Versuchungen, 
vom rettenden Engel 
und von Herzen wie  „Steine“, die zu „göttlichem Brot“ werden.  

Finden wir uns hier wieder?

Irgendwo?

In irgendwem?

Sind wir eher Jäger oder doch Gejagte?

oder aber Polizist, Notarzt oder Sanitäter?

Finden wir uns im irregeleiteten Kevin oder in der verzweifelte Mutter?

Vielleicht aber fühlen wir uns auch einfach nur ein wenig anders, 
anders als die meisten anderen..

Wenn wir uns bewusst machen, dass all das, was wir so toll an uns finden nicht unser eigener Verdienst, sondern ein Geschenk Gottes ist …

Wenn wir uns bewusst machen, dass alle Menschen Gottes Kinder sind, Kinder die er liebt …

Dann erkennen wir vielleicht, wie wenig stolz wir auf uns sein müssen, darauf welche Fähigkeiten wir besitzen, 
darauf dass wir die Gaben Gottes angenommen haben, 
oder darauf mit welcher Hautfarbe wir geboren wurden.

Jesus möchte in unsere Herzen einziehen und dass wir unsere Mitmenschen ebenfalls in unseren Herzen willkommen heißen.

Voller Dankbarkeit können wir dann unsere eigenen engen Grenzen überwinden und gemeinsam mit dem Psalmist einstimmen:

Ps 67,6 "Es danken dir, Gott, die Völker," "es danken dir alle Völker."

AMEN  

Enge Grenzen überwinden - Lassen Sie uns ein Lied davon singen - Meine engen Grenzen  Lied 589, 1-4